Freeganismus

Tierethik & Veganismus · July 16, 2021

Einleitung

Das Thema, um das es heute gehen soll, wird in der veganen Szene seit einigen Jahren recht regelmäßig kontrovers diskutiert. Dazu hat nicht nur die Tatsache beigetragen, dass es von einigen namhaften Aktivisten der veganen Szene aufgegriffen wurde – man wird auch durchaus attestieren können, dass die damit verbundenen Probleme (Lebensmittelverschwendung, Klimawandel, Umweltzerstörung) zunehmend im Bewusstsein der Allgemeinbevölkerung ankommen. Es geht um die Frage, wie „Freeganismus“, Containern und Co. ethisch zu bewerten sind, wenn es um tierische Lebensmittel geht.

Auch wenn das Thema für viele auf den ersten Blick eher uninteressant erscheinen dürfte, da sie selbst gar nichts damit zu tun haben und auch eher nie zu tun haben werden: Es bietet Anlass dazu, sich durchaus interessanten ethischen Fragen zu widmen. Die folgende Betrachtung hat nicht das Ziel, eine abschließende Antwort auf die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit vor dem Hintergrund der aktuellen Situation zu geben, auch wenn eine gewisse Einordnung erfolgen wird. Es geht primär darum, das ethische Für und Wider nüchtern zu betrachten – und offene Fragen herauszuarbeiten.

Angemerkt sei, dass nicht alle Contra-Argumente aufgegriffen werden, da einige von ihnen Denkrichtungen entspringen, die meines Erachtens keiner kritischen Überprüfung standhalten. Wo sie durch eine geringfügige Modifizierung zu retten sind, werden sie übernommen. Damit das Ganze übersichtlich bleibt, folgt die Betrachtung dieser Reihenfolge:

  1. Ist der Konsum von tierischen Lebensmitteln mit dem Veganismus vereinbar, wenn sie aus dem Müll stammen oder für den Müll bestimmt waren?
  2. Über den Veganismus hinaus: Ethische Argumente für den Freeganismus, fürs Containern usw.
  3. Ethische Bedenken.
  4. Spielt das Lebensmittel eine Rolle?
  5. Zusammenfassung und persönliche Haltung.

1. Vereinbar mit dem Veganismus?

Ist der Konsum von tierischen Lebensmitteln mit dem Veganismus vereinbar, wenn sie aus dem Müll stammen oder für den Müll bestimmt waren? Der Veganismus ist eine (tier-)ethisch begründete Lebensweise, die danach strebt, die Ausbeutung von und Grausamkeiten gegenüber Tieren so weit wie möglich zu vermeiden (siehe dazu meine Artikel „Warum vegan?“ und „Das Gesundheits- und Umweltargument“).

Ausbeutung ist ungerechte Nutzung, Grausamkeit ist das bewusste Schädigen, Quälen usw. Den Verzehr von für den Müll bestimmten tierischen Lebensmitteln wird man wohl nicht als „grausam“ bezeichnen können. Aber liegt vielleicht Ausbeutung, also eine ungerechte Nutzung vor? Auch das wird sich wohl kaum behaupten lassen können. Der Konsum von Lebensmitteln, die für den Müll bestimmt waren, trägt nicht dazu bei, die Tierausbeutung aufrechtzuerhalten.

Es gibt auf der rein individuellen Ebene kein grundsätzliches Argument dafür, dass sich für den Müll bestimmte Lebensmittel mit dem Veganismus beißen würden. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass sich gar keine Einwände formulieren lassen. Wir kommen darauf noch zurück. Zu bedenken ist nun allerdings, dass der Veganismus nur ein ethisches Minimalkonzept für einen gerechteren Umgang mit Tieren ist.

Das heißt: Aus der Tatsache, dass eine Handlung mit dem Veganismus vereinbar ist, lässt sich nicht ableiten, dass sie auch schon ethisch in Ordnung ist. Es ist durchaus sinnvoll, so einen ersten Schritt zu haben, der auch der Allgemeinbevölkerung gegenüber kommuniziert werden kann, aber das Nachdenken sollte hier nicht aufhören, insofern man die Kapazitäten dafür hat, sich damit zu beschäftigen. Es gibt also einen guten Grund dafür, die Betrachtung noch nicht an dieser Stelle abzubrechen.

2. Ethische Argumente für den Freeganismus

Wir leben in einer Gesellschaft, in der schwindelerregende Lebensmittelmassen nicht in unseren Mägen, sondern im Müll landen. Die Produktion dieser Lebensmittel für die Tonne stellt nicht nur eine Belastung für die Umwelt dar, sondern auch eine für das Klima. Sie verschwendet darüber hinaus Ressourcen. Es gibt also schon auf diesen Ebenen gute Gründe dafür, hier anzusetzen. Und es kommen noch zwei weitere Aspekte hinzu:

In den letzten Jahren ist die Zahl der weltweit hungernden Menschen wieder gestiegen. Das Problem ließe sich kurzfristig nur über die Verteilung von woanders produzierten Lebensmitteln lösen (was freilich für das Klima belastend ist). Jeder Anbau von Pflanzen und jede Haltung von ‚Nutztieren‘ geht mit der Schädigung und Tötung von Wildtieren einher. Selbst wenn dies ungewollt geschieht und somit streng genommen kein Problem des Veganismus ist: Es ist ethisch nicht bedeutungslos.

Es ließen sich daher folgende Argumente für den Freeganismus, fürs Containern usw. formulieren:

  • Die ‚Rettung‘ von für den Müll bestimmten Lebensmitteln schont Ressourcen, Umwelt und Klima.
  • Die ‚Rettung‘ von für den Müll bestimmten Lebensmitteln kann dazu beitragen, etwas Notwendiges, nämlich einen anderen Umgang mit Lebensmitteln zu normalisieren.
  • Ein anderer Umgang mit Lebensmitteln könnte dazu beitragen, die Anzahl geschädigter und getöteter Wildtiere zu senken. Alternativ ergeben sich Spielräume für Exporte.

Der Konsum tierischer Lebensmittel, die für den Müll bestimmt waren, könnte insofern sogar im Interesse von Tieren sein, da so prinzipiell eine Reduktion des Anbauumfangs möglich wäre. Darüber hinaus lässt sich noch ein weiterer ethisch relevanter Vorteil nennen: Die Rettung von Lebensmitteln, die für den Müll bestimmt waren, schont die Brieftasche, sodass sich neue Spielräume dafür ergeben, für gute Zwecke zu spenden.

3. Ethische Bedenken

Einige der Vorteile, die zuvor aufgelistet wurden, lassen sich jedoch kritisch hinterfragen. Anders formuliert: Es kann bezweifelt werden, dass diesbezüglich gegenwärtig ein Nutzen entsteht. Dieser Zweifel wäre jedoch irrelevant, wenn sich keine ethischen Bedenken formulieren lassen. Sollte die ‚Rettung‘ von für den Müll bestimmten Lebensmitteln in einigen Bereichen gegenwärtig keinen nennenswerten Nutzen haben, so würde sie doch zumindest nicht schaden.

Es wäre folglich nicht weiter von Bedeutung, ob sich ein Nutzen einstellt, da es im schlimmsten Fall nur egal, im besten Fall aber sinnvoll ist. (Wenn man hygienische Bedenken etc. und Spenden ausklammert.) Es müssten sich also andere Einwände, es müssten sich mögliche Nachteile formulieren lassen, um Zurückhaltung angebracht erscheinen zu lassen. Sie sollen uns nun aus dem Blickwinkel des Veganismus beschäftigen:

  • Wenn der Schein nicht trügt, scheinen organisierte Lebensmittel‚rettungen‘ und Containern recht eng mit der veganen Szene verbunden zu sein. Mir wurde berichtet, dass Organisationen Probleme haben, ‚gerettete‘ tierische Lebensmittel loszuwerden, ohne dass es um qualitative Bedenken geht. Auch in den sozialen Medien sind es immer wieder Veganerinnen und Veganer, die das Containern ‚bewerben‘. In Anbetracht der Tatsache, dass insbesondere das ‚Tonnentauchen‘ in der Gesellschaft unzweifelhaft mit Ekelgefühlen und mit negativen Assoziationen behaftet ist, stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Verbindung Veganismus – Müll zu einem negativen Image des Veganismus beitragen könnte.
  • Es stellt sich die Frage, inwiefern umfassendes Containern dazu führt, den Umsatz mit veganen Lebensmitteln zu senken. Anders formuliert: Trägt das Containern dazu bei, nützliche wirtschaftliche Anreize abzuschwächen?
  • Besteht die Gefahr, den Eindruck zu erwecken, dass Veganer tierische Lebensmittel irgendwie doch noch brauchen oder zumindest nicht davon wegkommen? Werden so gesundheitliche Zweifel aufrechterhalten oder geweckt?
  • Wäre es nicht sinnvoller, tierische Lebensmittel an sich mischköstlich ernährende Menschen weiterzugeben, um so dazu beizutragen, Geld aus dem System zu nehmen? Schließlich würden diese Menschen dann weniger Tierisches im Supermarkt kaufen ‚müssen‘. Der offenkundige Haken ist, dass Veganer so quasi aktiv dazu beitragen, andere in ihrem Konsum tierischer Lebensmittel zu unterstützen. Durch eine kluge Kommunikation ließe sich das Problem sicher einordnen und etwas entschärfen, aber es bleibt unklar, wie man diesen Aspekt bewerten soll.

Damit verwandt ist der entscheidendste Punkt, der auch die Diskussionen über das Thema am meisten prägt:

  • Der Verzehr tierischer Lebensmittel, die für den Müll bestimmt waren, erhält so ausgerechnet über Veganerinnen und Veganer das Bild lebendig, dass der Konsum von Tierischem auch ohne jede Not etwas ‚Normales‘, etwas ‚Akzeptables‘ ist. Konkret für Fleisch: Wenn Veganerinnen und Veganer Tierisches essen, signalisieren sie, dass Tiere etwas sind, was man (ohne jede Not) essen kann.

Der Hintergrund dieser Kritik:

Wenn die vegane Szene das Ende der willkürlichen Schlechterbehandlung von Tieren will: Warum signalisiert sie dann, dass Tiere doch auf irgendeine Weise signifikant anders sind, denn auch die Nutzung von überschüssiger menschlicher Milch oder menschlichen Leichen wäre mit denselben möglichen Vorteilen verbunden: Ressourcen-, Umwelt- und Klimaschonung etc. Wir erblicken darin aber schlicht nichts, was man nutzen sollte. Wir betrachten menschliche Leichen (fernab von Organspenden) im Normalfall nicht als Ressourcen. Provokativ gefragt: Warum ist’s ethisch okay, Tiere zu essen, aber nicht Menschen?

Wenn Tiere gleichberechtigte ethische Berücksichtigung verdienen: Ist es dann nicht fatal, sie in dieser Hinsicht so anders zu behandeln? Müssten wir nicht einen ‚respektvolleren‘ Umgang mit toten Tieren und ihren Ausbeutungsprodukten an den Tag legen, um den Ernst der Sache angemessen zu transportieren? Schließlich würden wir auch unsere verstorbenen Haustiere nicht auf der Basis dieser möglichen Vorteile essen und empfinden die „Kadavertonnen“ beim Tierarzt oft als ein ‚unwürdiges‘ Ende.

Wer hier erwidern will, dass das eben etwas mit der persönlichen Bindung zu tun hat, der macht sich damit für ein Argument stark (reine Emotionen), das heikler nicht sein und auch von Rassisten oder Sexisten herangezogen werden könnte. (Was nicht heißen soll, dass derartige Emotionen ethisch völlig gleichgültig sind – es geht um die Gewichtung! Es führt zu Absurditäten, zu Willkür, ihnen zu viel Gewicht zu verleihen.)

Allerdings hat dieser Mensch-Tier-Vergleich an dieser Stelle einen entscheidenden Haken:

Menschen haben in der Regel (sei es auch primär kulturell bedingt) Wünsche, die sich über ihren Tod erstrecken. Sie wollen nicht, dass ihre Leichen geschändet werden, sie wollen vielleicht auf einen bestimmten Friedhof usw. Wenn sie sich nicht halbwegs sicher auf so etwas verlassen zu können, verschlechtert dies ihre Lebensqualität. Und selbst bei den Menschen, die solche Wünsche zum Beispiel aufgrund geistiger Einschränkungen nicht kennen, würde es andere beunruhigen, wenn man ihre Leichen ‚respektlos‘ behandelt.

Es ist schlicht nicht plausibel, von derartigen Wünschen und Beunruhigungen bei ‚Nutztieren‘ auszugehen, sodass hier ein relevanter Unterschied besteht. Die Frage ist nun aber: Wie gewichtig ist dieser Unterschied? Sollten wir solche Wünsche als irrational und somit überwindungsbedürftig kritisieren? Oder ist das Risiko zu groß, hier an etwas allzu Festem rütteln zu wollen? Sollten Veganer hier aus Vorsichtsgründen ein starkes Signal senden und klar vermitteln, dass Tiere keine Ressourcen sind, wenn keine Ausnahmesituation vorliegt, um zu versuchen, die Wahrnehmung von Tieren in der Allgemeinbevölkerung zu verändern?

Wie auch immer man dieses Problem nun bewerten mag: Es lässt sich kaum bestreiten, dass der Symbolcharakter von Veganern, die ohne Not Tierisches essen, nicht leichtfertig ignoriert werden sollte. Werden wir so als Heuchler wahrgenommen? Schmälern wir so den ethischen Ernst unseres Anliegens? Können wir dafür einstehen, dass Tiere normale Mitglieder unserer ethischen Gemeinschaft sein sollen und somit eine gerechte Berücksichtigung ihrer Interessen verdienen, wenn wir parallel ihre Überreste und Erzeugnisse verzehren?

Diese und vergleichbare Fragen sind letztlich Fragen, die nach einer empirischen Beantwortung verlangen. Wir haben aber erwartungsgemäß keine Studien, in denen untersucht wurde, welche Auswirkungen es unter welchen Umständen hat, wenn Veganer für den Müll bestimmte tierische Lebensmittel konsumieren. Überwiegt der Nutzen den Schaden? Ist der mögliche Nutzen größer als der zu befürchtende Glaubwürdigkeitsverlust?

Bevor noch begründet werden soll, warum der oft behauptete Nutzen zumindest gegenwärtig fraglich ist, sei noch auf einen letzten Punkt hingewiesen:

  • Bestünde nicht alternativ die Möglichkeit, zumindest manche vor dem Müll bewahrte tierische Lebensmittel für Haustiere zu nutzen, um so Geld aus dem Ausbeutungssystem zu nehmen? Diese Lösung würde das Problem der bereits zuvor genannten Alternativnutzung deutlich entschärfen. Die damit verbundene, für manche vielleicht naheliegende Option, damit Wildtieren zu helfen, klingt verlockend, da sie doch auf den ersten Blick hungernden Tieren helfen und Beuteopfer reduzieren könnte, aber es gilt zu bedenken, dass so ein Eingriff in die Natur natürlich Auswirkungen auf die Populationsentwicklung hat, sodass sich einfach nur andere Schäden ergeben könnten.

Wenn es um die Frage geht, einzuschätzen, inwiefern Veganerinnen und Veganer Ressourcen, Umwelt und Klima schonen, wenn sie ‚gerettete‘ tierische Lebensmittel konsumieren, ist es notwendig, sich vor Augen zu führen, wie wenig sensibel der Markt für kleinere Nachfrageschwankungen ist. Eine Einzelperson, die Essen aus einer Mülltonne fischt, ändert im dazugehörigen Markt, ändert für den Landwirt usw. gar nichts.

An der Produktionsmenge ändert sich erst etwas, wenn sich die Nachfrage wirklich wahrnehmbar senkt. Selbst wenn 20.000 Veganer regelmäßig ‚tonnentauchen‘ würden, wären die Auswirkungen auf den Markt und die Produktion wohl kaum wahrnehmbar. Der geringe Nachfrageverlust wird bestenfalls hie und da Preisreduktionen provozieren, aber insgesamt kaum etwas ändern. Wenn diese Überlegung richtig ist, würde aus ihr folgen, dass Veganer gegenwärtig möglicherweise ohne irgendeinen Ressourcen-, Umwelt oder Klima-Nutzen das Risiko eingehen, die Glaubwürdigkeit bzw. das Image des Veganismus zu beschädigen, insofern sie es nicht unbemerkt/ungesehen tun.

Der Nutzen würde sich dann darauf beschränken, Geld sparen und für sinnvolle Zwecke spenden zu können. Der Aspekt, dass so ein Vorbild für einen anderen Umgang mit Lebensmitteln geschaffen wird, könnte von dem Ekelfaktor in vielen Köpfen völlig überschattet werden. Man könnte jetzt noch darüber spekulieren, ob es für die konsumierenden Veganer selbst nicht noch nachteilige Auswirkungen geben könnte (höhere Rückfallquote etc.), aber am Ende bleibt ohnehin nur, einzuräumen, dass wir einfach keine Daten zu diesem Thema haben.

Und das ist auch der Grund, warum diese Diskussionen in der Regel so unfruchtbar sind. Es gibt nichts Handfestes – und es prallen einfach nur zwei Welten unversöhnlich aufeinander: entweder hält man den Nutzen für ausreichend oder man hält den Schaden des aufrechterhaltenen Bildes, des wahrgenommenen Doppelstandards (zum Beispiel den unterschiedlichen Umgang mit Tier- und Menschenleichen) für entscheidend. Es erscheint daher sinnvoll einfach beide Seiten zu beleuchten, um Raum für eine ausgewogenere, selbstkritische Betrachtung zu öffnen.

4. Spielt das Lebensmittel eine Rolle?

Es könnte natürlich auch noch die Frage gestellt werden, ob es nicht einen Unterschied macht, ob man ‚nur‘ für den Müll bestimmte Milch- und Eierprodukte oder ob man auch Fleischwaren konsumiert. Betrachtet man, wie diese Lebensmittel in der Allgemeinbevölkerung wahrgenommen werden, ließe sich der Standpunkt vertreten, dass Veganer weniger Irritation hervorrufen, wenn sie sich auf vegetarische Lebensmittel beschränken.

Die Allgemeinbevölkerung nimmt Fleischwaren eher als ein ethisches Problem wahr, weil hier vollkommen klar ist, dass ein Tier sterben musste. Das Elend hinter Milch und Eiern ist weniger gegenwärtig. Das sollte allerdings nicht dazu verleiten, zu denken, dass Eier- und Milchwaren dementsprechend unbedenklicher wären. Die ‚Produktion‘ von Milch und Eiern ist in der Regel das größere Übel für die Tiere. Das heißt:

Es müsste eigentlich unsere Aufgabe sein, zu verdeutlichen, dass vegetarische Produkte nicht nur übler sind, sondern: dass auch sie nicht von Schlachtungen zu trennen sind. Nach außen zu transportieren, dass man lediglich die Milch- und Eierprodukte annimmt, verstärkt den contrafaktischen Eindruck, dass die reine Fleisch‚produktion‘ das größere Übel wäre. Es gibt meines Erachtens keine plausible Grundlage dafür, hier einen Unterschied zu machen. Wer ‚tonnentauchen‘ will, hat keine nüchterne Basis dafür, Fleisch im Müll zu lassen.

Natürlich ließe sich ein ethischer Unterschied benennen: Es gibt theoretisch die Möglichkeit, Milch und Eier auf eine harmlose Weise zu gewinnen. So muss der Konsum von Eiern, in einem winzigen Umfang, keineswegs mit einer schlechten Behandlung der Tiere einhergehen. Solche Milch- und Eierwaren werden jedoch nicht kommerziell angeboten, sodass sie auch nicht aus Containern gefischt werden können. Es gibt fernab des Ekels vor Fleisch keinen Grund, hier beim ‚Tonnentauchen‘ einen Unterschied zu machen.

5. Zusammenfassung.

Die angestellte Betrachtung sollte verdeutlicht haben, dass die ‚Rettung‘ von Lebensmitteln prinzipiell mit ethisch relevanten Vorteilen verbunden ist. In welchem Umfang sie tatsächlich existieren, ist jedoch auch davon abhängig, in welchem Umfang Containern und Co. stattfinden. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass es legitime kritische Rückfragen gibt, die denkbare Imageschäden und Glaubwürdigkeitsverluste betreffen.

Es ist jedoch nicht möglich, Nutzen und Schaden ins Verhältnis zu setzen, da keine Forschung zu diesem Thema existiert. Die Frage, wie man welche Aspekte gewichtet, wird hochgradig individuelle Antworten hervorrufen. Damit ist nicht gesagt, dass man für die Gewichtung der einzelnen Aspekte keine einleuchtenden Argumente anführen kann, sodass manche Positionen plausibler als andere erscheinen, aber da auch sehr viel von der jeweiligen Kommunikation abhängt, erscheint es ratsam, Abstand von Verurteilungen zu halten.

Anders ausgedrückt: Die Sachlage ist so unklar, dass eine gewisse Toleranz für unterschiedliche Haltungen angemessen sein dürfte. Beide Seiten treten hier regelmäßig mit einer irritierenden Sicherheit auf. Bevor ich noch meine Haltung dazu offenlege: Zu diesem Thema interessieren mich eure Gedanken sehr – insbesondere, wenn es um Argumente geht, die ich noch nicht angesprochen habe. Ich würde tatsächlich ergänzende Überlegungen dann auch gerne mit in das Story-Highlight packen.

Meine persönliche Haltung

Ich möchte keine tierischen Lebensmittel essen, selbst wenn sie für den Müll bestimmt waren. Ich würde aber auf jeden Fall versuchen, sie noch anderen oder den Haustieren von anderen zur Verfügung zu stellen, da ich das für eine sinnvolle Verwendung halte. So lässt sich, wenn auch in einem nichtigen Umfang, Geld aus dem System ziehen, während parallel noch der unklare sonstige Nutzen hinzukommt. Je nach Kontext wäre es mir aber wichtig, klar zu kommunizieren, was ich von solchen Lebensmitteln halte.

Ansonsten greift für mich die Logik, die ich schon in dem Story-Highlight „Zweite Klasse?“ angesprochen hatte: Wenn ich keine Ahnung habe, was am Ende effektiver ist, dann entscheide ich mich für die sachliche Redlichkeit. Ich möchte nicht, dass Tiere einfach als Ressourcen betrachtet werden, also werde ich auch nicht vermitteln, dass sie welche sind. Aber ich bin gespannt, welche Überlegungen ihr ergänzen wollt!

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