Warum lebe ich vegan?

Tierethik & Veganismus · April 15, 2021

Einleitung

Die Frage, die mir gestellt wurde, lautete frei wiedergegeben:

Was antwortest Du, wenn Dich jemand fragt, warum Du vegan lebst?

Damit verbunden war die Frage, ob es für mich einen Unterschied macht, ob ich das einem anderen Veganer oder vielleicht so einem Anti-Veganer erklären soll.

Da die zweite Frage zu verneinen ist, kann ich mich auf die erste Frage beschränken. Meine Begründung ist meine Begründung - unabhängig davon, wer sie hören will.

Bevor man die Frage überhaupt beantworten kann, muss man erst einmal klären, was es überhaupt bedeutet, “vegan zu leben”.

Definition

Die Schlüsselstelle der Definition der Vegan Society lautet (Übersetzung durch mich):

“[Der Veganismus] ist eine Philosophie und Lebensweise, die danach strebt, alle Formen der Ausbeutung von und Grausamkeiten gegenüber Tieren – soweit es möglich und praktisch durchführbar ist – zu vermeiden, sei es für die Ernährung, für Kleidung oder für irgendeinen anderen Zweck.”

Im Zentrum stehen zwei Begriffe:

  1. Ausbeutung,
  2. Grausamkeit.

Ausbeutung bedeutet ungerechte Nutzung. Es ist also ein kontextsensitiver Begriff. Was in einer Situation eine ungerechte Nutzung ist, kam in einer anderen als gerecht betrachtet werden.

Doch wie soll bestimmt werden, was einem Tier gegenüber jeweils gerecht oder ungerecht ist? Wir kommen darauf gleich noch zurück.

Grausamkeit zielt als Begriff nicht nur auf die Folgen einer Handlung ab, sondern auch auf die Handlungsabsicht.

Das Oxford Dictionary definiert Grausamkeit an erster Stelle folgendermaßen:

„ein Verhalten, das anderen physische oder psychische Schmerzen zufügt oder sie leiden lässt, insbesondere absichtlich”.

Auch der Duden stellt klar, dass es um die Haltung geht, schaden zu wollen.

Wir können also festhalten, dass das ungewollte Zertreten eines Insekts, dass das unbeabsichtigte Überfahren eines Igels nicht von der Definition des Veganismus erfasst wird. Es findet dabei keine Nutzung statt, und es ist auch keine Absicht Spiel, schaden zu wollen.

So irritierend es auch klingen mag: Der Veganismus steckt demnach nur einen ethischen Minimalrahmen für einen gerechten Umgang mit Tieren ab. Wenn ich sinnlos über eine Wiese laufe, verstoße ich zwar nicht gegen die Grundsätze des Veganismus, aber das damit verbundene unnötige, unbeabsichtigte Platttrampeln von Tieren ist ethisch deswegen nicht irrelevant.

Darüber hinaus lässt sich darüber diskutieren, ob wir Tieren gegenüber nur negative Pflichten haben (Unterlassen) - oder ob wir ihnen nicht auch aktive Hilfe schulden. Auch diese Frage ist vom Veganismus nicht berührt. Es ist wirklich nur ein Minimalrahmen.

Und mit dieser kurzen Vorbetrachtung kann ich nun meine Antwort auf die Frage geben.

Das Argument

Ich halte Gerechtigkeit für eine fundamentale Basis jedes Miteinanders.

Meine simple Antwort lautet daher:

Ich kann schlicht nicht begründen, warum Tiere davon ausgeschlossen sein sollte. Ich kann keinen ethischen relevanten Grund dafür anführen, warum Tiere nicht auch gerecht behandelt werden sollten, warum ihnen gegenüber Grausamkeiten in Ordnung sein sollten.

Aber nun stellt sich noch einmal die Frage, was das nun bedeuten soll. Was heißt hier “gerecht”?

Der klassische Grundsatz der Gerechtigkeit lautet: Gleiches gleich, Ungleiches ungleich.

Das heißt: Gleiches ist gleich zu behandeln, Ungleiches darf auch ungleich behandelt werden.

Die zentrale Frage lautet also:

Liegt ein ethisch relevanter Grund dafür vor, Tiere anders als Menschen zu behandeln?

Warum wollen wir ethisch berücksichtigt werden? Nicht, weil wir Menschen sind, sondern weil mit dem Mensch-Sein Eigenschaften verbunden sind, die für uns wichtig sind. Wir haben Interessen, wir haben Bedürfnisse und Begehren, wir können leiden, wir können Schmerz empfinden usw.

Aber genau das gilt auch für Tiere. Die Eigenschaften, die klassischerweise genannt werden, wenn es darum geht, zu benennen, welche ethisch relevante Eigenschaft Tieren fehle, sodass ihre Ungleichbehandlung gerechtfertigt sei, scheitern am “Argument der menschlichen Grenzfälle”.

Das Argument der menschlichen Grenzfälle

Es lässt sich so zusammenfassen:

  1. Um behaupten zu können, dass alle und ausschließlich Menschen ethische Berücksichtigung verdienen (und Tiere daher keine), müsste es eine ethisch relevante Eigenschaft X geben, die allen und nur Menschen zugesprochen werden kann.
  2. Alle Eigenschaften, die Menschen auf eine ethisch relevante Weise von anderen Tieren trennen könnten, fehlen bei einigen Menschen (sogenannte menschliche Grenzfälle).
  3. Die ethisch relevanten Eigenschaften, die alle Menschen haben, müssen auch vielen Tieren zugesprochen werden.
  4. Daher gibt es keine Möglichkeit, zu behaupten, dass alle und nur Menschen ethische Berücksichtigung verdienen.

Menschen sind intelligenter! Das gilt nicht für alle Menschen.
Menschen können umfassende Zukunftspläne haben! Das gilt nicht für alle Menschen.
Menschen sind moralische Akteure! Das gilt nicht für alle Menschen.
Menschen können Kunstwerke erschaffen! Das gilt nicht für alle Menschen.
Usw. usf.

Das Mensch-Sein an sich kann nicht nur aus dem genannten Grund nicht als ethisch relevante Eigenschaft benannt werden, sondern auch deswegen nicht, da diese Begründung zirkulär ist:

“Der Mensch nimmt eine Sonderstellung ein, weil er ein Mensch ist.”

Warum ist der Ball rund? Der Ball ist rund, weil der Ball rund ist. Wenn derartige “Logik” greifen würde, könnte man alles begründen. “Weiße nehmen eine Sonderstellung ein, weil sie weiß sind.” Usw. Absoluter Blödsinn.

Ich beschäftige mich nun seit vielen, vielen Jahren mit diesem Thema - und mir konnte noch nie jemand einen überzeugenden Grund dafür liefern, warum der Mensch als Spezies einen absoluten Sonderstatus haben sollte. Auch das Argument, dass Menschen nun einmal unsere Artgenossen, dass sie uns einfach näher sind, führt zu Absurditäten. Damit ließe sich Rassismus rechtfertigen. “Weiße sind mir nun einmal näher als Schwarze.”

Ich habe bisher keine plausible Begründung dafür gesehen, warum wir Tieren keine Gerechtigkeit schulden sollten.

Die Argumente, die angeführt werden, schließen gewisse Menschen aus oder kassieren die allgemeinen Menschenrechte. In anderen Fällen berufen sie sich verdeckt auf das Recht des Stärkeren oder ruhen sich einfach auf der eigenen glücklichen Situation aus. Manche sind schlicht rein logisch schon nicht haltbar.

Ich fordere gerne jeden dazu heraus: Begründet mir die harte Speziesgrenze auf eine ethisch einleuchtende Weise. Warum schulden wir Tieren grundsätzlich weniger als “menschlichen Grenzfällen”?

Wenn es gilt, Gleiches gleich zu behandeln, dann müssen für Tiere die Grundsätze gelten, die auch für “menschliche Grenzfälle” gelten.

Der Maßstab dafür, was eine “ungerechte Nutzung” ist, ergibt sich also aus unserem Umgang mit den “menschlichen Grenzfällen”. Was bei ihnen verboten ist, hat es auch bei Tieren zu sein, die auf vergleichbare Weise über die ethisch relevanten Eigenschaften verfügen.

Und nein, das ist keine Abwertung der “menschlichen Grenzfälle”, sondern eine Aufwertung der Tiere.

Die Abwertung der “menschlichen Grenzfälle” nehmen diejenigen unbemerkt vor, die behaupten wollen, dass solche Aspekte wie menschliche Intelligenz oder Moralfähigkeit die Voraussetzung für grundlegende Rechte sind. Nicht ich.

Häufiger Einwand

Und ich möchte noch einen an dieser Stelle erwartbaren Einwand adressieren:

“Die ‘menschlichen Grenzfälle’ haben aber Angehörige, die darunter leiden würden, wenn man sie wie Nutztiere behandelt. Außerdem würde es die ganze Gesellschaft verängstigen, da jeder mal in die Situation kommen kann, zu so einem ‘Grenzfall’ zu werden.”

Das ist ein Klassiker. Bitte lest ihn gründlich und denkt kurz darüber nach, was hier gerade argumentativ passiert ist. Bitte erst dann weiterlesen, wenn ihr versucht habt, es selbst zu sehen.

Genau das meinte ich mit der Aufgabe der allgemeinen Menschenrechte. Wer so argumentiert, sagt: Diese Menschen sind nicht für sich schützenswert, sondern für andere.

Es ist unfassbar, mit welcher Regelmäßigkeit sich Menschen so äußern. Wirklich. Menschen mit schwerwiegenden Einschränkungen genießen nach dieser Logik an sich keinen ethischen Schutzwert.

Man könnte jetzt bei diesem Argument noch weiter bohren und weitere gravierende Probleme herausarbeiten, aber eigentlich reicht dieser Punkt schon.

Fazit

Das ist mein Grund. Das ist meine Begründung.

Ich lebe vegan, weil ich keinerlei Basis dafür sehe, zu behaupten, dass wir Tieren nicht dasselbe schulden wie den sogenannten “menschlichen Grenzfällen”. Wenn alle Menschen Grundrechte haben, wenn Menschen weder ausgebeutet noch grausam behandelt werden dürfen, dann gilt dies auch für alle Tiere, die über vergleichbare ethisch relevante Eigenschaften verfügen.

Gleiches gleich.

Schlusswort

Bitte wie immer bedenken:

Das ist spontanes Geschreibsel, kein in Ruhe erstellter, systematischer wissenschaftlicher Text. Sollten sich ergänzende Fragen ergeben: Immer raus damit!

Und nochmal: Wer meint, die Mensch-Tier-Grenze ethisch sauber ziehen zu können: Nur zu. Try me.

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