„Mir sind Tiere egal!“

Tierethik & Veganismus · June 11, 2021

Einleitung

Das nächste ‚Argument‘, das mir geschickt wurde, da die Erwiderung nicht jedem leicht fällt, kann verschiedene Formen annehmen: „Mir sind Tiere schlicht egal.“ „Mich interessiert Tierleid einfach nicht.“ „Warum sollte mich das etwas angehen?“ Usw. Das Problem ist also: Was kann man tun, wenn jemand einfach nur gleichgültig zu sein scheint?

Wie immer ist es sinnvoll, sich zuerst Klarheit darüber zu verschaffen, womit man es zu tun hat. Sobald man sich in dieser Hinsicht einen Überblick verschafft hat, kann man die einzelnen Aspekte separat behandeln. Daraus ergeben sich folgende Schritte:

  1. Problem-Analyse: 3 mögliche Szenarien
  2. Szenario 1: echte Mitleidlosigkeit
  3. Szenario 2: Zweifel daran, dass man Tieren überhaupt schaden könne
  4. Szenario 3: die Haltung, dass „Moral rein subjektiv“ sei

Problemanalyse: 3 mögliche Szenarien

Solche und vergleichbare Äußerungen können schlicht ein Ausdruck echter Gleichgültigkeit sein (Szenario 1 oder 2), aber meiner Erfahrung nach steckt oft noch etwas Anderes dahinter (Szenario 3): Menschen, die so etwas sagen, vertreten häufig die Position, dass „Moral rein subjektiv“ sei. Sie müssen also nicht tatsächlich auf der Gefühlsebene gänzlich gleichgültig sein, sondern sie denken oft nur, dass es keinen Grund gibt, sich zu irgendetwas verpflichtet zu fühlen, wenn es ihnen keinen Vorteil bringt.

Der Subjektivitätsvorwurf ist ein echter Klassiker, der zumindest in einer Hinsicht stimmt: Werte existieren nicht so wie Bäume oder Steine. Aber daraus folgt nicht, dass die Ethik hier irgendwie ein exklusives Problem hätte. Man kann einem Flacherdler dutzende naturwissenschaftliche Belege vorlegen, ohne dass er seine Haltung ändern wird. Auch die Naturwissenschaften können niemanden dazu zwingen, eine andere Haltung einzunehmen.

Entscheidend ist an erster Stelle, herauszufinden, ob tatsächlich eine echte Gleichgültigkeit vorliegt. Sie würde sich als blanke Mitleidlosigkeit (Szenario 1) oder als die Überzeugung äußern, dass Tiere überhaupt nicht empfindungsfähig sind (Szenario 2). Dort, wo sie wirklich vorliegt, dürften die Chancen außergewöhnlich gering sein, überhaupt etwas erreichen zu können.

Szenario 1: echte Mitleidlosigkeit

Bei blanker Mitleidlosigkeit können die Ansätze versucht werden, die ich gleich noch schildere, wenn es um die Haltung geht, das „Moral rein subjektiv“ sei (Szenario 3). Dieses Szenario benötigt daher keine eigene Betrachtung. Wichtig ist nur, dass Szenario 2 ausgeschlossen ist.

Szenario 2: Zweifel daran, dass man Tieren überhaupt schaden könne

Liegt der Fall vor, dass jemand ernsthaft die Empfindungsfähigkeit bezweifelt, dass jemand bestreitet, dass Tiere etwas wollen und nicht wollen können, kann nur der Versuch gewagt werden, auf biologischer Ebene dagegenzuhalten.

Es kann dann darauf verwiesen werden, dass Tiere Schmerzen genauso durch ihr Verhalten signalisieren wie wir, dass sie rein anatomisch über die notwendigen Voraussetzungen verfügen (zumindest bei den Tieren, um die es im Normalfall geht, ist das unstrittig genug), man kann über die Evolution dafür argumentieren usw. Genauso kann allgemein auf den wissenschaftlichen Konsens verwiesen werden. Auch das Tierschutzgesetz bezieht hier vollkommen klar Stellung. Tiere können Schmerzen erfahren und leiden.

Sollte in Szenario 2 wenigstens diese gemeinsame Basis hergestellt werden können, wird das Gespräch höchstwahrscheinlich die Form annehmen, dass klargestellt werden muss, warum man sich überhaupt dafür interessieren sollte, ethisch richtig zu handeln – und warum es dabei eben nicht um ein rein subjektives Thema gehen kann. Das heißt: Egal, welches Szenario wir in der Praxis erwischen: Wir landen bei den Überlegungen, die Szenario 3 erfordert.

Szenario 3: die Haltung, dass „Moral rein subjektiv“ sei

Die Haltung, dass „Moral rein subjektiv“ sei oder dass es keinen Grund gäbe, sich für unser ethisches Argument zu interessieren, kann auf unterschiedliche Weise adressiert werden. Der Schlüssel besteht darin, die Person begreifen zu lassen, welche Folgen es hat, wenn man diese Haltung zu Ende denkt. Dort, wo sich zeigt, dass doch Anteilnahme vorhanden ist, kann auch mit dem Tier oder mit der Art argumentiert werden, das bzw. die der Person nicht egal ist.

Die erste Frage, die ihr stellen könnt, ließe sich zum Beispiel so formulieren: „Wenn mir dein Leid egal ist: Ist es dann folglich okay, wenn ich dir Leid zufüge? Die Antwort wird erwartungsgemäß eine eindeutige Verneinung sein. Es stellt sich folglich die Frage, warum Gleichgültigkeit in einem Kontext ausreichen soll, aber in einem anderen nicht.

An dieser Stelle sind dann 2 Erwiderungen zu erwarten:
a) Es wird sich darauf berufen, dass das bei Menschen etwas anderes sei. Wie ihr auf diesen Versuch reagieren könnt, habe ich euch in meinen Artikel „Warum vegan?“ gezeigt. Bitte dort nachlesen.
b) Die Person beruft sich auf das Recht bzw. auf gesellschaftlich geltende Normen.

Lasst euch von b) nicht überrumpeln, denn auch b) ist leicht zu entkräften. Wenn geltendes Recht oder wenn gesellschaftliche Gepflogenheiten schon an sich ausreichen würden, dürfte sich nicht aufzeigen lassen, dass Gesellschaften und Gesetze fürchterlich irren können. Ist die weibliche Genitalverstümmelung in Ordnung, weil sie in manchen Gegenden gesellschaftlicher Standard ist? War die Behandlung der Juden durch das NS-Regime dort in Ordnung, wo sie gesetzlich festgehalten war?

Gesellschaftliche Normen können fürchterlich daneben liegen, und auch Gesetze können ungerecht sein. Da b) keiner ernsten Überprüfung standhält, ist also zu fragen, warum die gesellschaftliche Gepflogenheit oder das Gesetz hier ausreichen sollte. Das heißt: Wir landen wieder bei a).

Eine halbwegs vernünftige Person wird einsehen, dass es nicht in ihrem Interesse sein kann, vollkommen willkürlich behandelt zu werden. Sie wird also zugestehen, dass gewisse Regeln sein müssen. Sobald dieser entscheidende Punkt im Gespräch erreicht ist, kann man dem Gesprächspartner Gedankenexperimente anbieten, die dabei helfen können, zu ermitteln, was faire Regeln, was statthafte Argumente wären.

Das erste Gedankenexperiment wäre John Rawls Schleier des Nichtwissens. In seiner originalen Form bot es für Tiere keinen Platz, aber es lässt sich leicht so modifizieren, dass es fruchtbar ist. Bringt euer Gegenüber dazu, sich vorzustellen, dass es mit allen vernünftigen Menschen eine möglichst gute Welt entwerfen könnte. Es soll quasi in einer Verhandlungssituation festgelegt werden, wie Menschen sich und die Welt ‚verwalten‘ sollen. Der Witz dabei ist nun der:

Der „Schleier des Nichtwissens“ besteht darin, dass niemand, der an dem Entwurf beteiligt ist, weiß, wo er am Ende landen wird. Man könnte als Frau, als Mann, als behinderte Person, als schwarzer oder weißer Mensch, als Muslim oder Buddhist, als Reicher oder Armer, als Genie oder als Simpelchen – oder als Wild- oder ‚Nutztier‘ auf dieser Welt landen. Würde es eine vernünftige Person riskieren, für einen Burger als Schwein in einer Mastanlage und im Schlachthaus zu landen?

Der „Schleier des Nichtwissens“ soll dazu verleiten, dass sich Menschen ernsthaft die Frage stellen, wie sie sich fühlen würden, wenn sie die Rollen tauschen müssten. Er hilft folglich dabei, echte Gerechtigkeitsüberlegungen anzustellen.

Ein vergleichbar nützliches Gedankenexperiment ist auch darin zu erblicken, das Gegenüber zu bitten, sich in die Situation zu versetzen, wie es wohl wäre, wenn man selbst in der hoffnungslos unterlegenen Position wäre. Man stelle sich vor, dass wir morgen von einer Spezies überfallen werden, die uns genauso überlegen ist wie wir Tieren überlegen sind. Was würden wir davon halten, wenn sie unsere Ausbeutung mit den Argumenten rechtfertigen, die wir benutzen, um unser Verhalten Tieren gegenüber zu rechtfertigen?

Käme uns da der Verweis auf die Artzugehörigkeit fair vor? Würden wir den Intelligenzunterschied für einen ausreichenden Grund halten? Usw. Beide Gedankenexperimente zielen schlicht darauf ab, das Gegenüber dazu zu bringen, sich vorzustellen, wie es ist, wenn man am kürzeren Hebel sitzt, wenn man in der unterlegenen Position und von der Fairness anderer abhängig ist.

Das Ergebnis wird sein, dass euer Gegenüber zahlreiche ethisch irrelevante Unterschiede benennen wird, die auch in meinem Artikel „Warum vegan?“ schon teilweise adressiert sind. Die Unterschiede, die sie anführen werden, werden dazu geeignet sein, Rassismus oder Sexismus zu rechtfertigen, sie werden unbemerkt behinderten- und kleinkinderfeindlich sein, sie werden ungewollt die Geltung der allgemeinen Menschenrechte kassieren, sie werden zirkulär sein usw. Es wird nichts Haltbares kommen.

Ich kann an dieser Stelle nicht alle Unterscheidungsversuche aufzählen, die einem in der Praxis begegnen werden. Ihr könnt sie aber alle alleine adressieren, wenn ihr euch immer zwei Fragen stellt: Knackt der benannte Unterschied das „Argument der menschlichen Grenzfälle“? (Siehe dazu meinen Artikel „Warum vegan?“.) Würden wir den Unterschied für bedeutsam halten, wenn wir das Opfer wären?

Solltet ihr hingegen das Glück haben, herauskitzeln zu können, dass euer Gegenüber zumindest Gefühle für ein Tier oder eine Tierart hat, könnt ihr versuchen, den fast immer aufwühlenden Mensch-Tier-Vergleich zu vermeiden. Fragt diese Personen, warum mit den ‚Nutztieren‘ in Ordnung sein soll, was mit dem geliebten Tier oder mit der als schützenswert erachteten Art nicht in Ordnung wäre. Auch hier werden keine ethisch belastbaren Argumente kommen.

Die Standardantwort bei geliebten Tieren wird diesen Punkt machen: „Zu meinem Hund (usw.) habe ich eine persönliche Beziehung. Darum ist es etwas Anderes.“ Schaut genau hin, was hier passiert ist. Hier wird gesagt, dass der Hund (usw.) nicht für sich schützenswert ist, sondern nur aufgrund der Beziehung. Ein Sachverhalt, der im Normalfall bestritten wird, sobald man ihn ans Tageslicht zerrt. Der Hund (usw.) ist also für sich schützenswert, aber wenn er das ist: Warum sollte es nicht auch das Schwein sein? Es gibt keinen ethisch relevanten Unterschied.

Es bleibt am Ende ein Fluchtweg, der leider auch sehr häufig gesehen und genutzt wird: Die Person räumt ein, dass unser Umgang mit Tieren ungerecht ist, aber es ist ihr egal, weil sie nicht davon ausgehen muss, jemals derartig in die Opferposition zu geraten. Mit anderen Worten: Eine solche Person möchte ihre glückliche Lage hemmungslos ausnutzen.

Gegen diese Form der charakterlichen Verkommenheit lässt sich nicht mehr argumentieren. Solche Menschen sind eine lauernde Gefahr für die Gesellschaft, da sie ihren Vorteil rücksichtslos suchen werden, sobald sie sich sicher genug sein können, keine Konsequenzen tragen zu müssen. Solche Menschen kann die Gesellschaft wohl nur (auf eine vertretbare Weise) spüren lassen, was es bedeutet, in der Hackordnung ganz unten zu stehen. Sie müssen vermutlich erst erfahren, was Willkür wirklich bedeutet, bevor sie eventuell die Bereitschaft entwickeln, gerecht handeln zu wollen.

In der Praxis bliebe einzelnen Personen dann nur die Möglichkeit, solchen Menschen durch kleine Willkürlichkeiten aufzuzeigen, wie unangenehm Ungerechtigkeit sein kann, um das Gespräch vor dem Hintergrund dieser Erfahrung noch einmal aufnehmen zu können. Fassen wir zusammen:

Verweise auf die eigene Gleichgültigkeit lassen sich adressieren, indem aufgezeigt wird, dass eigentlich niemand dazu bereit ist, die Folgen zu akzeptieren, sobald die Gefahr besteht, selbst das Opfer von Gleichgültigkeit zu werden. Jede Person, die ein Interesse an ihrem eigenen Wohl hat, hat ein Interesse daran, Willkür zu vermeiden. Sobald dieser Punkt erreicht ist, wird sie versuchen müssen, rationale Gründe für ihren Umgang mit Tieren anzuführen. Ein Unterfangen, das aussichtslos ist, sobald ausbeutendes Verhalten vorliegt.

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