Es ist hoffnungslos

Tierethik & Veganismus · June 5, 2021

Einleitung

Das nächste antivegane Argument, das mir geschickt wurde, weil es etwas ratlos zurücklässt, begegnet in der Praxis in zwei Varianten:

  1. Es ist hoffnungslos, weil wir immer Schaden anrichten werden.
  2. Menschen werden sich nie ändern. Sie werden immer ausbeuten, immer rücksichtslos sein usw.

Die Gegenargumente

Auch wenn beide Einwände dasselbe Ziel verfolgen: Sie machen jeweils einen unterschiedlichen Punkt, weswegen man sie trotz Überschneidungen getrennt durchgehen sollte. Daraus ergibt sich folgender ‚Fahrplan‘:

  1. Analyse der ersten Variante
  2. Entkräftung der ersten Variante
  3. Analyse der zweiten Variante
  4. Entkräftung der zweiten Variante
  5. Zusammenfassung

1.) Analyse der ersten Variante

„Es ist hoffnungslos, weil wir immer Schaden anrichten werden.“

Der erste Einwand verweist auf etwas, was schlicht stimmt. Ich habe dieses Zitat schon zweimal (dreimal?) gebracht, aber ich ziehe es mal nochmal heran, weil es so wichtig ist:

Leben lebt immer auf Unkosten andern Lebens. — Wer das nicht begreift, hat bei sich noch nicht den ersten Schritt zur Redlichkeit gemacht.

– Friedrich Nietzsche

(Historisch-kritische Ausgabe, NF-1885,2[205])

Solange wir uns nicht das Leben nehmen (und auch dort nur, wenn uns niemand vermisst), werden wir immer Schaden anrichten. Unsere Mobilität tötet und verletzt, unser Nahrungsanbau tötet und verletzt, die Herstellung unserer Alltagsgüter tötet und schadet direkt und indirekt – egal, was wir tun, unser Leben erfordert immer Opfer, selbst wenn wir uns die größte Mühe geben.

Leider sieht man immer wieder, dass das eine Tatsache ist, der sich viele Menschen noch nicht ernsthaft gestellt haben. Sie wissen es eigentlich, aber sie haben nie darüber nachgedacht, was daraus eigentlich folgt. Das sieht man zum Beispiel wunderbar daran, dass die vegane Szene flächendeckend irrtümlich davon spricht, dass die vegane Ernährung „tierleidfrei“ sei.

Ich räume offen ein, dass es nicht angenehm ist, sich dieser Tatsache zu stellen, aber so deprimierend es auch auf den ersten Blick erscheinen mag: Wer akzeptiert, dass Leben immer auf Unkosten andern Lebens lebt, hat den Kopf dafür frei, sich ethisch bedeutsame Fragen zu stellen: Welche Rolle spielen Handlungsabsichten (aus Versehen oder mit Absicht)? Welche Rolle spielen Handlungskontexte (ohne Notwendigkeit oder aus Notwehr)? Ab wann ist eine gezielte Schädigung vielleicht besser als das Zulassen von Unfällen?

Schauen wir uns die Aussage also nochmal an: „Es ist hoffnungslos, weil wir immer Schaden anrichten werden.“ Solange man nicht wie die Philosophen Philipp Mainländer und Eduard von Hartmann den Wunsch hegt, das Leben an sich in Frage zu stellen, ist festzuhalten: Das Problem kann nicht dieser Teil sein: „weil wir immer Schaden anrichten werden“. Der Fehler muss hier liegen: „Es ist hoffnungslos“.

2.) Entkräftung der ersten Variante

Wenn die Tatsachenbehauptung des Einwandes an sich korrekt ist, ist es sinnlos, auf dieser Ebene etwas erwidern zu wollen (dieser Teil des Einwandes sollte also einfach bereitwillig zugestanden werden). Das Problem ist nicht, dass etwas in dieser Hinsicht Falsches gesagt wurde – das Problem ist, was daraus gemacht wird. Die Schlussfolgerung ist falsch, nicht die Tatsachenbehauptung. Bitte merkt euch das ganz allgemein, weil es wichtig ist:

Aus der Tatsache, dass ihr eurem (im schlimmsten Fall antiveganen) Gegenüber ein Zugeständnis machen müsst, folgt nicht automatisch, dass ihr die argumentative Auseinandersetzung verloren habt. Falls ihr das Problem habt: Bitte gewöhnt euch ab, durchgängig zu widersprechen. Denn: Es kommt nicht darauf an, zu zeigen, dass das Gegenüber in jeder Hinsicht falsch liegt. Es geht nur darum, aufzuzeigen, dass das Gegenüber dort irrt, wo es darauf ankommt.

Wenn ihr es mit solchen Aussagen zu tun habt, solltet ihr immer versuchen, die Logik beizubehalten und etwas Anderes einzusetzen. Was ich damit meine, schauen wir uns jetzt an: „Es ist hoffnungslos, weil wir immer Schaden anrichten werden.“ Die Aussage soll sein:

Wir können nicht jeden Schaden verhindern, also hat es keinen Zweck, es überhaupt zu versuchen.

Wir können nicht jeden Autounfall verhindern, also hat es keinen Zweck, es überhaupt zu versuchen.
Wir können nicht jeden Mord verhindern, also hat es keinen Zweck, es überhaupt zu versuchen.
Wir können nicht jeden Kranken heilen, also hat es keinen Zweck, es überhaupt zu versuchen.
Wir können nicht jeden Tag zufrieden sein, also hat es keinen Zweck, es überhaupt zu versuchen.

Ihr seht sofort, wie absurd die Aussagen werden, sobald man etwas Anderes einsetzt, aber die Logik beibehält. Das ist etwas, das ihr bei sehr, sehr vielen antiveganen Einwänden tun könnt – und sobald ihr es tut, wird klar, dass die Logik dahinter nicht tragfähig ist. In der Praxis wird nun fast immer das passieren: Euer Gegenüber wird sagen, dass die gewählten Beispiele etwas völlig Anderes seien. Dass man das nicht vergleichen könne!

Das ist der Moment, in dem ihr fragt, warum die Logik im Humanbereich nicht greifen soll, während sie akzeptabel sei, wenn es um Tiere geht. Wie ihr hier verfahren könnt, ist in meinem Artikel „Warum vegan?“ beschrieben. Dort findet ihr Hilfe, wie ihr ab hier leichtes Spiel habt. Eine zweite Option:

Es ist immer eine Option, aufzuzeigen, warum die Logik hinter einem Einwand nicht belastbar ist, aber es gibt noch eine Alternative: Es funktioniert oft sehr gut, das Gegenüber gedanklich in die Lage des Opfers zu versetzen. Die Aussage war: Wir können nicht jeden Schaden verhindern, also hat es keinen Zweck, es überhaupt zu versuchen.

Also:

  • Wir können nicht jeden Mord verhindern. Ist es also in Ordnung, dich zu töten?
  • Wir können nicht jedem helfen. Ist es also in Ordnung, dir in einer Notlage nicht zu helfen?
  • Wir können nicht jeden Diebstahl verhindern. Ist es also in Ordnung, dich zu bestehlen? Auch dieser Ansatz wird im Normalfall dazu führen, dass darauf bestanden wird, dass man das nicht einfach so übertragen könne. Ihr landet also wieder in der Situation, die Person dazu herausfordern zu können, zu begründen, was der ethisch relevante Unterschied sei.

Dieser Einwand scheitert also, weil er aus einer korrekten Tatsachenbehauptung etwas Falsches folgert. Nur weil sich nie ein perfekter Zustand erreichen lassen wird, folgt daraus nicht, dass alles egal ist, dass man keinen BESSEREN Zustand anstreben kann. Wenn ihr eine unheilbare Krankheit habt, folgt aus der Unmöglichkeit, wieder komplett gesund zu werden, nicht, dass es keinen Unterschied mehr macht, ob ihr euch besser oder schlechter fühlt. DAS ist der Denkfehler hier.

3.) Analyse der zweiten Variante

„Menschen werden sich nie ändern. Sie werden immer ausbeuten, immer rücksichtslos sein usw.“

Dieser Einwand soll prinzipiell dasselbe begründen: Nichts-Tun, weil es eh nie perfekt wird. Aber er nutzt einen anderen Weg, um vermeintlich dasselbe Ziel zu erreichen. Die Aussage hier ist so klar, dass sie keine weitere Betrachtung braucht. Der Mensch ist schlecht, also hat eh alles keinen Zweck.

4.) Entkräftung der zweiten Variante

Während die Tatsachenbehauptung der ersten Variante keine Angriffsfläche bot, stellt sich bei Variante 2 die Frage, inwiefern sie hier überhaupt stimmt. Sind Menschen unabänderlich schlecht? Gibt es keine ethischen Fortschritte?

Es lässt sich unmöglich bestreiten, dass Menschen dazu in der Lage sind, die fürchterlichsten Dinge zu tun. Aber es lässt sich genauso nicht bestreiten, dass Menschen zu heldenhaftem, zu absolut rührendem Verhalten fähig sind. Sowohl anderen Menschen als auch Tieren gegenüber. Das Internet ist voll mit Videos von Handlungen, die uns als mitdenkende, mitfühlende Wesen zeigen. Unsere Kulturen kennen unendlich viele Erfindungen und Einrichtungen, die belegen, dass wir ein Interesse daran haben, Gutes zu tun, ethisch zu sein.

Auch wenn es zum Beispiel allein aufgrund unserer immer weiter ansteigenden Anzahl auch furchtbare Rückschritte gibt: Zeigt die Geschichte der Menschheit nicht auch, dass wir zu echten Fortschritten fähig sind? Immanuel Kant verglich Tiere noch mit Gegenständen, denen man eigentlich gar nichts schuldet. Thomas Taylor spottete 1792, dass man eigentlich auch über Rechte für Steine nachdenken müsste, wenn man Frauen gleiche Rechte wie Männern geben wolle. Hat sich wirklich nichts getan?

Es ist in diesem Fall also durchaus möglich, die aufgestellte Tatsachenbehauptung zu bestreiten. Die Menschheit mag sich viel zu langsam entwickeln und sich immer wieder schrecklichste Rückfälle leisten, aber es unstatthaft, plump zu behaupten, dass wir besserungsunfähig seien. Auch unsere Handlungen im Alltag zeigen, dass wir eigentlich anders denken. Wir versuchen, unsere Kinder zu guten Menschen zu erziehen, wir betrachten Gefängnisse als Besserungsanstalten, wir tadeln Verhaltensweisen auf der Basis, dass wir den Anspruch haben, dass es besser geht, wir geben Bewährungsstrafen, um Menschen Chancen zu geben usw.

Wichtiger als diese Beobachtungen ist es jedoch, auch hier auf die Absurditäten hinzuweisen, die eine solche Haltung rechtfertigen könnte. Sklaverei? Der Mensch ist eben schlecht! Missbrauch? Der Mensch ist eben schlecht! Religiöser Fanatismus? Der Mensch ist eben schlecht! Serienmorde? Der Mensch ist eben schlecht! Wer so denkt, kann auch im Humanbereich alles fallen lassen. Wozu noch engagieren?

Die Wahrheit ist: Niemand bei Verstand würde diese Logik akzeptieren, wenn man sie auf das menschliche Miteinander ausdehnt. Sie soll nur willkürlich rechtfertigen, was für Schandtaten wir Tieren gegenüber begehen. Kein Mensch bei Verstand würde die Floskel „Der Mensch ist eben schlecht.“ als Rechtfertigung akzeptieren, wenn er selbst in der Opferposition landet. Würde sich eine Person aufgrund des Verweises darauf quälen lassen, dass der Mensch eben schlecht ist? Natürlich nicht!

Ihr könnt euer Gegenüber also auch bei Variante 2 argumentativ dazu bringen, begründen zu müssen, warum die präsentierte Logik das Ausbeuten von Tieren rechtfertigen soll, während sie bei Menschen oder dem Gegenüber selbst nicht greifen würde. Variante 2 stellt insofern nicht nur eine nicht haltbare Tatsachenbehauptung auf, sondern sie greift genauso wie Variante 1 auf eine Logik zurück, die schlicht nicht tragfähig ist. Selbst wenn Menschen nie ‚Engel‘ werden: Daraus folgt nicht, dass alles egal ist.

5.) Zusammenfassung

Die beiden Varianten des Einwandes, der mir als „knifflig“ geschickt wurde, nutzen zwar unterschiedliche Wege, aber sie peilen dasselbe Ziel an: Nichts-tun-Müssen, weil es eh nie perfekt oder wirklich gut wird. Sobald man diese Logik jedoch auf das Gegenüber oder auf das allgemeine menschliche Miteinander überträgt, zeigt sich, dass sie nicht nur schlicht inakzeptabel ist, sondern auch dem widerspricht, wie wir handeln.

Das Gegenüber ist also argumentativ dazu gezwungen, anzugeben, warum die präsentierte Logik bei Tieren, nicht aber bei Menschen greifen soll. Ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt ist. Dieser antivegane Einwand ist daher als unbegründeter Doppelstandard, er ist aufgrund des blanken Willkür-Charakters zurückzuweisen.

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