Karl Krall, Denkende Tiere

Tierethik & Veganismus · June 20, 2021

Das Zitat

Das hier vorgestellte Zitat erscheint hier zum ersten Mal in einer Sammlung. Der Autor wurde bisher nirgends berücksichtigt, sodass es sich um eine der zahlreichen Erstaufnahmen dieser Sammlung handelt:

Auf dem Sinn für die Einheit des Naturganzen beruht die Achtung vor dem Tiere um seiner selbst willen. Die Ausbildung und Pflege dieser sittlichen Eigenschaft ist von ernstester Bedeutung für unser Gemeinschaftsleben. In dem Augenblick, wo wir auch im Tiere den Funken göttlichen Geistes erkennen, der es zur Persönlichkeit erhebt, wird der Tierschutz zu einem Tierrecht.

Karl Krall (1863-1929)

Quelle: Karl Krall, Denkende Tiere. Beiträge zur Tierseelenkunde auf Grund eigener Versuche, Leipzig 1912, S. 245.

Erläuterungen

  • „um seiner selbst willen“: Diese Formulierung hat den Hintergrund, dass der frühe Tierschutz häufig das indirekte Ziel verfolgte, die Verrohung Menschen gegenüber zu verhindern. Die Achtung des Tieres selbst war aber auch schon in dieser Zeit keineswegs mehr neu.
  • „den Funken göttlichen Geistes“: Siehe die folgende kurze biographische Skizze.

Karl Krall

Karl Krall war ein deutscher Juwelier, dessen Leben eine Wendung nahm, als er den ‚Tierpsychologen‘ und Privatgelehrten Wilhelm von Osten kennenlernte. Dieser war der Besitzer eines der berühmtesten Pferde der Welt: dem „klugen Hans“. Wilhelm von Osten erlangte in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts Bekanntheit, da er behauptete, dass sein Pferd Hans rechnen und weitere ganz erstaunliche geistige Leistungen erbringen könne. Der „kluge Hans“ erzeugte derartig viel Aufmerksamkeit (selbst die New York Times berichtete), dass 1904 ein ganzes Wissenschaftlerteam zu Wilhelm von Osten reiste, um die Leistungen des Pferdes einer kritischen Untersuchung zu unterziehen. Die ersten Tests verliefen positiv, sodass die Wissenschaftler ihre Vermutung, dass es sich um irgendeinen offenkundigen Trick handeln müsste, verwerfen mussten. Des Rätsels Lösung fand schließlich Oskar Pfungst, der bemerkte, dass das Pferd gelernt hatte, subtilste ungewollte/unbewusste Veränderungen der Mimik und Gestik der Menschen zu lesen und dementsprechend zu reagieren. Diese unbemerkte Beeinflussung von Experimenten mit Tieren ging als Kluger-Hans-Effekt in die Geschichte ein, und der Fall hatte einen enormen Einfluss auf das Design von Experimenten. Wilhelm von Osten trug unbeabsichtigt dazu bei, die Wissenschaft für bisher wenig oder gar gänzlich unbeachtete Details von Experimenten zu sensibilisieren.

Nach dem Tod von Wilhelm von Osten (1909) ging der kluge Hans in den Besitz von Karl Krall über, der genauso wie von Osten nicht gewillt war, aufzugeben. Er organisierte sich Räumlichkeiten für umfassende Versuche und experimentierte in den Folgejahren nicht nur mit dem klugen Hans, sondern auch noch mit weiteren Pferden, mit Eseln und sogar mit einem Elefanten. Da das öffentliche Interesse erloschen war und der Erfolg ausblieb, wurde der Versuchsstall 1916 wieder geschlossen. Das Pferd Hans wurde anschließend zusammen mit den anderen Pferden zum Dienst im Ersten Weltkrieg herangezogen, sodass sein weiteres Schicksal unbekannt ist. Vor diesem Hintergrund lässt sich vielleicht erahnen, warum Krall den geistigen Fähigkeiten von Tieren auch tierethisch so ein auffällig großes Gewicht zugesprochen haben könnte. Krall war nicht nur davon überzeugt, bei Tieren bislang unvermutete geistige Fähigkeiten entdeckt zu haben und weiterhin entdecken zu können, sondern er erblickte darin wohl den entscheidenden Hebel, um auch andere Menschen davon zu überzeugen, dass Tiere mehr Schutz als bisher verdienen. Aufgrund ihrer Intelligenz sprach er sich daher auch für ein vollständiges Tötungsverbot von Elefanten aus.

Karl Krall und "kluger Hans"

Twitter, Facebook