Der Veganismus und die Opfer der Landwirtschaft

Tierethik & Veganismus · January 7, 2023

Den in diesem Beitrag betrachteten Versuch, die Notwendigkeit, unseren Umgang mit ‚Nutztieren‘ grundsätzlich in Frage stellen zu müssen, zu bestreiten, dürfte wohl jeder Veganer kennen, der Diskussionen über das Thema nicht grundsätzlich vermeidet. Veganern wird regelmäßig vorgeworfen, dass für sie doch auch Tiere sterben; ein Einwand, der sichtlich darauf abzielt, einen Sachverhalt zu behaupten, der sich so wiedergeben lässt: „Du bist auch nicht besser als ich oder zumindest auch nicht perfekt. Darum hast du keine Grundlage dafür, mir Vorwürfe oder ein schlechtes Gewissen zu machen.“

So sehr der Impuls nachzuvollziehen ist, diesen Versuch einfach durch einen Verweis darauf abzuschmettern, dass es sich hierbei doch um etwas handelt, das alle betrifft, sodass Veganer wenigstens nicht direkt daran beteiligt sind, dass ‚Nutz’tiere in abzulehnenden Zuchtformen unter nicht tiergerechten Bedingungen aufgezogen und am Ende gewaltsam aus dem Leben gerissen werden: Es dürfte für die Bewegung in doppelter Hinsicht wertvoll sein, diesen Einwand erst einmal ernst zu nehmen und die Bereitschaft mitzubringen, ihn auf der ersten Betrachtungsebene gelten zu lassen. Auf diese Weise eröffnet sich einerseits die Möglichkeit, ein fruchtbares Gespräch zu führen, bei dem am Startpunkt die Akzeptanz des Arguments des Gegenübers steht. Andererseits handelt es sich hierbei um ein Problem, bei dem sich aus der genaueren Analyse zahlreiche für die allgemeine Aufklärungsarbeit wichtige Anregungen zum Verfeinern oder Korrigieren der eigenen Position ergeben können. Vor dem Hintergrund, dass Veganer flächendeckend mit dem Argument für ihr tierethisches Anliegen werben, dass für eine ‚vegane Ernährung‘ keine Tiere leiden oder sterben müssen, ergibt sich hieraus auch die Möglichkeit, zukünftig unnötige Glaubwürdigkeitsverluste, Angriffsflächen und Debatten zu vermeiden. „‚Leben lebt immer auf Unkosten andern Lebens.‘ — Wer das nicht begreift, hat bei sich noch nicht den ersten Schritt zur Redlichkeit gemacht.“ Diese recht deutlichen Worte Friedrich Nietzsches [1] mögen daher vielleicht als Ausgangspunkt für die folgende Betrachtung dienen.

Da es also gute Gründe dafür gibt, dieses klassische antivegane Argument sorgfältig zu analysieren, ist es notwendig, die dafür relevanten Aspekte separiert und systematisch zu betrachten. Die nachstehende Auseinandersetzung muss sich dabei darauf beschränken, den Kontext in den Fokus zu nehmen, an den die Menschen in der Regel denken, wenn sie auf ihn zurückgreifen: die Landwirtschaft. Folglich bleiben andere Beispiele wie die Medikamentennutzung, der Straßenverkehr, der Hausbau und andere ebenfalls hin und wieder angesprochene Kontexte, in denen auch für Veganer Tiere sterben, ausgeklammert. Sie können auf der Basis dieses Beitrags gänzlich oder teilweise auf eine analoge Weise entkräftet werden.

An erster Stelle ist auf prinzipieller Ebene zu fragen, ob das vorgebrachte Argument nicht schon unabhängig vom konkreten Inhalt ein Problem aufweist: Obgleich die Schlussfolgerung für gewöhnlich nicht explizit ausgesprochen wird, lässt sich das Argument doch fairerweise so zusammenfassen:

Meine Handlungen schaden Tieren.
Deine Handlungen schaden Tieren aber auch.
Daher hast Du keinen Anlass, von mir etwas zu fordern oder mir etwas vorzuwerfen.

Dieser Einwand wird als Tu-quoque-Argument bezeichnet, also übersetzt als Du-(aber-)auch-Argument. Warum es sich hierbei um eine unstatthafte Erwiderung handelt, wenn sie dazu dienen soll, den Grund dafür zu liefern, nichts ändern zu müssen, wird offensichtlich, wenn man sie in anderen Kontexten verwendet:

Elena: Peter, warum trinkst du schon wieder Bier? Du weißt, dass das schlecht für deine Gesundheit ist!
Peter: Du rauchst doch auch!

Es ist auch hier zuzugestehen, dass Peter, insofern er nicht lügt, etwas Richtiges sagt: Auch Elena schadet ihrer Gesundheit, indem sie raucht. Eines ist damit aber nicht geleistet: Es ist nicht widerlegt, dass der Bierkonsum gesundheitsschädlich ist. Denn bewiesen ist damit lediglich, dass auch Elena nicht ausreichend auf ihre Gesundheit achtet.

Dieses Beispiel illustriert eine Verhaltensweise, die sich immer wieder beobachten lässt: Menschen wollen oft genug nicht unbedingt gut, sondern sie wollen nur nicht schlechter als andere sein. Eine tatsächlich vernünftige Herangehensweise wäre es jedoch, aus einer solchen Du-aber-auch-Situation den Schluss zu ziehen, dass beide Seiten ein Problem zu adressieren haben.

Jedes Mal, wenn in einer Diskussion die Verteidigungslinie gewählt wird, darauf hinzuweisen, dass auch für Veganer Tiere sterben, ist – im Normalfall unbemerkt – zugestanden, dass die Tierausbeutung eigentlich etwas Schlechtes ist, denn sonst würde man sich zur Verteidigung nicht darauf berufen, dass auch für Veganer Schlechtes passiert. Bedauerlicherweise ist in der Praxis beinahe ausnahmslos zu beobachten, dass nicht bemerkt wird, dass mit dieser Erwiderung zeitgleich ein Zugeständnis formuliert wurde (dies gilt für zahlreiche antivegane Argumente). Es gilt daher, diesen erreichten Gesprächsstand nicht nur zu bemerken, sondern auch gezielt festzuhalten, sodass im Anschluss daran unter die Lupe genommen werden kann, ob Veganer wirklich im gleichen Sinne schuldig sind. Die Bedingung dafür ist jedoch, dass das Gegenüber nicht zurückrudert, sobald es sich bewusst wird, dass es gerade an erster Stelle ungewollt zugestimmt hat, dass Tierausbeutung ein Problem ist.

An zweiter Stelle ist vorab und fernab genauerer Analysen die Frage zu stellen, ob das entgegengebrachte Argument überhaupt den Veganismus berührt. Wenn es Veganern per Definition darum geht, die Ausbeutung von und Grausamkeiten gegenüber Tieren so weit wie möglich zu reduzieren, dann kann eingewandt werden, dass das Argument zwar grundsätzlich relevant ist, aber den Veganismus als eine Art Minimalkonzept, als einen ersten Schritt zur Gerechtigkeit für Tiere nicht direkt betrifft. Tiere, die im Rahmen der Produktion pflanzlicher Lebensmittel getötet werden, werden von uns (von Bienen abgesehen) nicht genutzt, sodass der Aspekt Ausbeutung nicht in Anschlag gebracht werden kann, denn Ausbeutung ist die ungerechte Nutzung. Als schwieriger erweist es sich, einzuschätzen, ob eventuell Grausamkeit involviert sein könnte. Eine Handlung ist gemäß Duden und Oxford Dictionary nicht unbedingt schon dann grausam, wenn sie Schmerzen und/oder Leiden verursacht oder ein Leben beendet, sondern es wird betont, dass es besonders um das bereitwillige, ‚kaltherzige‘ und gezielte Schädigen geht. Grausamkeit hat demnach etwas mit dem Täter zu tun; es geht um das Schaden-Wollen. Doch verhalten sich die Produzenten pflanzlicher Lebensmittel grausam, wenn sie Tiere töten (lassen)? Ist ihr Ziel das Schaden oder nicht eher das Schaden-Vermeiden (Ernteschutz)?

Die bisher präsentierten grundsätzlichen Überlegungen sollten keineswegs dahingehend fehlgedeutet werden, dass bereits auf der bislang geschaffenen Basis versucht werden sollte, dieses antivegane Argument zurückzuweisen. Wird der Veganismus als ein Minimalkonzept verstanden, das noch nicht alle ethischen Fragen berücksichtigt, die sich im Umgang mit Tieren stellen, so ist festzuhalten, dass mit dem hier besprochenen Einwand im Kern wohl kein Argument gegen den Veganismus zur Diskussion steht. Aus einer noch ‚sensibleren‘ Gerechtigkeitsüberlegung, die auch die vom Veganismus ausgeklammerten Probleme einbezieht, ergibt sich die Einsicht, dass die Auseinandersetzung mit dem Argument damit noch nicht befriedigend abgeschlossen ist, auch wenn es sinnvoll ist, erst einmal abzustecken, welche Aspekte der Veganismus abdeckt und welche nicht. Es geht eben nicht darum, dass für Veganer gar kein Tier mehr stirbt oder leidet, weil es realistisch betrachtet nicht darum gehen kann.

Sollen Tiere nicht nur im Hinblick auf Ausbeutung und Grausamkeit gerecht berücksichtigt werden, ist zu prüfen, ob Tiere im Rahmen der Produktion pflanzlicher Lebensmittel Ungerechtigkeiten erfahren. Hierbei sind zwei Kontexte zu unterscheiden, in denen Tiere auch für eine Ernährung ohne tierische Lebensmittel getötet werden: intentional und nicht-intentional, also beabsichtigt oder unbeabsichtigt.

Die unbeabsichtigte Tötung von Tieren

Sowohl der Anbau als auch die Ernte und der Transport führen unweigerlich dazu, dass Tiere sterben. In der großen Masse betrifft das zwar Insekten und andere Wirbellose, bei denen kritisch zu diskutieren ist, in welchem Umfang sie in Anbetracht der vorhandenen Forschung ethisch relevante Eigenschaften besitzen (Schmerzempfinden?), aber auch Mäuse oder zum Beispiel vereinzelt Rehkitze.

Um zu klären, ob hier eine Ungerechtigkeit geschieht, muss in Betracht gezogen werden, wie sich unsere Gesellschaften im Wesentlichen zu nicht-intendierten Todesfällen bei Menschen positionieren. Am deutlichsten zeigt sich unser Umgang vielleicht beim Straßenverkehr, sodass er einen guten Ansatzpunkt darstellen kann: Es werden Jahr für Jahr weltweit deutlich über eine Million Verkehrstote registriert, [2] ohne dass ein Abwärtstrend festzustellen wäre und ohne dass deswegen breite gesellschaftliche Debatten darüber geführt werden, den großteils vermeidbaren privaten Verkehr einzuschränken, Motorräder zu verbieten, Fahrzeiten für Transporte noch stärker zu reglementieren usw. Sobald jedoch Fahrzeuge gezielt in Menschenmengen gesteuert werden, überschlagen sich die Nachrichtenportale, und es wird eine politische Talk-Show nach der anderen produziert, um nervös über Maßnahmen zu diskutieren, obwohl das Risiko und die Anzahl der Opfer im Vergleich verschwindend gering sind. Von Bedeutung sind also offenkundig nicht nur die bloßen Resultate, die nackten Zahlen, sondern auch die Intentionen, die dazu führen (bzw. die Abwesenheit von Intention). Dieser Sachverhalt spiegelt sich auch in den Gesetzgebungen unserer Staaten wider, denn sie berücksichtigen neben den Handlungsfolgen auch die Handlungsabsichten, sodass auch auf dieser Ebene zwischen Unfällen und Morden deutlich unterschieden wird.

Zu bedenken ist zwar, dass stets versucht wird, die nicht-intentionalen Schäden über Sicherheitsmaßnahmen und gesetzliche Regulierungen zu reduzieren, aber es wird keineswegs alles unternommen, um sie zu vermeiden, da andere Güter als gewichtiger eingestuft werden. Selbst Trivialitäten wie Bequemlichkeiten, Zeiteinsparungen, Adrenalinkicks oder bloße Genüsse werden unter dem Banner der Freiheit als wichtig genug eingestuft, um Tote in Kauf zu nehmen. Darüber hinaus darf es auch als gesellschaftlicher Konsens betrachtet werden, dass nicht-intendierte Schädigungen keine intendierten Schädigungen legitimieren.

In Gesprächen ist das Gegenüber daher zu fragen, ob er oder sie eine Person, die unbeabsichtigt einen Menschen getötet hat, wirklich mit einem Mörder gleichstellen will – ob er oder sie davon ausgeht, dass ein Unfall einen Mord rechtfertigt. Wenn wir für unnötige Bequemlichkeiten buchstäblich über Leichen gehen: Warum sollen dann ungewollte Ernteopfer für unsere Lebensgrundlage ungerecht sein? Wenn wir niemanden töten lassen dürfen, weil ein Unfall passiert ist: Warum sollen nicht-intendierte Tiertötung im Rahmen des Pflanzenanbaus eine Rechtfertigung dafür sein, dafür zu bezahlen, dass einem Tier nach einer mehrheitlich nicht tiergerechten Mast im Schlachthof das Leben genommen wird?

Nicht-intendierte Tötungen von Tieren können vor diesem Hintergrund kein Argument für den Fleischkonsum liefern. Aus der Tatsache, dass auch für Veganer zwangsläufig Tiere sterben, ergibt sich kein Doppelstandard, wenn sie sich gegen die Ausbeutung von Tieren aussprechen. Daraus folgt indes keineswegs, dass nicht versucht werden sollte, die Anzahl nicht-intendierter Tötungen zu reduzieren. Wenn auch unser Umgang mit Wildtieren in dieser Hinsicht gerecht sein soll, sind im Rahmen der Möglichkeiten alle Maßnahmen zu fördern, die mit weniger Opfern einhergehen. Dazu gehört dann allerdings auch letzten Endes ein Lebensstil, der ernährungsphysiologisch minderwertige Nahrung und große Kalorienüberschüsse vermeidet, der keine unnötigen Produkte wie Schnittblumen einbezieht usw. – eine Schlussfolgerung, die sicherlich geeignet ist, die Gemüter zu erhitzen, die aber einleuchtet, sobald man sich gedanklich in die Lage versetzt, zum Beispiel selbst Gefahr zu laufen, für einen unnötigen Überkonsum zu sterben. Auch Bodybuilding und Co. erscheinen aus diesem Blickwinkel dann problematisch.

Ein in diesem Zusammenhang zu erwartender Einwand ließe sich so formulieren: „Aber wir wissen doch, dass Tiere beim Anbau und bei der Ernte sterben. Kann man da wirklich noch davon reden, dass diese Tötungen nicht-intentional sind?“ – Diese Rückfrage hat auf den ersten Blick eine gewisse Plausibilität. Doch nach dieser Logik ließen sich dann auch Autounfälle nicht mehr als nicht-intendiert bezeichnen. Es ist kein Geheimnis, dass die Technik versagen, dass das Wetter Straßen zu einer Gefahr werden lassen kann – dass Menschen so lange Autounfälle verursachen werden, wie sie selbst am Steuer sind.

Die beabsichtigte Tötung von Tieren

Die Produktion der Lebensmittel, die von Veganern verzehrt werden, geht üblicherweise mit der intendierten Tötung von Tieren einher. Landwirte setzen ‚Schädlings’bekämpfungsmittel ein, Jäger erschießen Tiere für den Ernteschutz [3], zur Vermeidung von Schäden an und Verunreinigungen von eingelagerten Ernten werden Mäuse getötet usw.

Auf den ersten Blick scheint das antivegane Argument demnach berechtigterweise darauf hinzuweisen, dass auch für pflanzliche Lebensmittel de facto gezielt Tiere getötet werden, sodass sich Veganer nicht auf den Unterschied zwischen intentional und nicht-intentional berufen können. Ein polemischer Gesprächspartner könnte sogar darauf verweisen, dass sich aus der für ihn stattfindenden intentionalen Tötung wenigstens noch eine Nährstoffquelle ergibt. Wie bei der unbeabsichtigten Tötung ist es jedoch notwendig, auch hier den Handlungskontext genauer zu betrachten und zu prüfen, ob sich dabei im Vergleich zum menschlichen Miteinander Ungerechtigkeiten ergeben.

Im Rahmen der Produktion pflanzlicher Lebensmittel dient die gezielte Tötung von Tieren entweder dem Ernteschutz oder der Hygiene (Krankheitsübertragungen), also der Sicherung unserer Lebensgrundlage und unserer Gesundheit. Der Kontext, in dem die intentionale Tötung erfolgt, lässt sich demnach als eine Form der Selbstverteidigung, als eine Art Notwehr beschreiben. In unserer Gesellschaft gilt es als statthaft, sich zu verteidigen, wenn eine Person die Unversehrtheit, das Leben oder die Lebensgrundlagen einer anderen Person gefährdet. Zu bedenken ist dabei lediglich, dass die ergriffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind; die Gefahr ist mit der möglichst harmlosesten Verteidigung abzuwehren.

Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass auch die intentionale Tötung nicht einfach mit dem Schlachten von ‚Nutztieren‘ verglichen werden kann. In einer Diskussion kann das in diesem Beitrag analysierte Argument folglich mit dem Verweis darauf zurückgewiesen werden, dass es einen Unterschied macht, ob ein (‚Nutz‘)-Tier, das keine Bedrohung darstellt, das keinen Schaden angerichtet, das ‚niemandem etwas getan‘ hat, oder ob ein Wildtier getötet wird, das unsere Lebensgrundlage gefährdet. Nur weil es Menschen gibt, die das Leben anderer Menschen gefährden oder zu Mördern werden, sodass man sie in manchen Situationen nur durch eine Tötung stoppen kann, ist es ethisch nicht vertretbar, Unschuldige zu töten.

Obgleich das in diesem Beitrag diskutierte Du-aber-auch-Argument in keinem der beiden Fälle einem Konsistenztest standhält, muss die intentionale Tötung von Tieren für die Produktion pflanzlicher Lebensmittel gegenwärtig als hochgradig problematisch eingestuft werden, da die Verhältnismäßigkeit in vielen Fällen bestritten oder wenigstens bezweifelt werden muss. Der ethische und rechtliche Grundsatz, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, legitimiert eine gewisse Andersbehandlung, da Tiere nun einmal keinem vernünftigen Zureden zugänglich und oft auch aufgrund ihrer Größe oder anderer Unterschiede schwerer mit schonenderen Mitteln fernzuhalten sind. Gäbe es Menschen, die uns vor vergleichbare Hürden stellen und unsere Lebensgrundlage gefährden würden, wäre auch hier mit angepassten, drastischeren Maßnahmen zu rechnen. Das Gerechtigkeitsdefizit, das die intentionale Tötung von Tieren gegenwärtig so problematisch macht, ist daher nicht auf der prinzipiellen Ebene zu suchen. Kritikwürdig ist, dass in der Praxis aus Traditions-, Zeit- und Kostengründen auf Bekämpfungsmethoden gesetzt wird, die gegen den im menschlichen Rahmen geltenden Grundsatz verstoßen, dass das möglichst harmloseste Mittel zu wählen ist, obgleich sich kein vernünftiger Grund anführen lässt, warum dieser Grundsatz nicht auch für unseren Umgang mit Tieren gelten sollte. Es handelt sich um einen Missstand, der sich aufgrund der Intransparenz für den Endverbraucher erst beseitigen lassen wird, wenn sich in der Gesellschaft insgesamt die Überzeugung durchsetzt, dass Tiere Gerechtigkeit verdienen.

Es sei abschließend nur noch ein Argument kritisch adressiert, auf das Veganer in diesem Kontext gerne zurückgreifen: Die Tiere auf den Feldern hätten wenigstens eine Chance, zu entkommen – die Tiere in den Mastanlagen usw. nicht. – Auf dieses Argument sollte nicht zurückgegriffen werden, da es viel zu oft schlicht nicht stimmt. Vogel- und Mäusebabys können nicht fliehen, sehr junge Rehkitze zeigen noch kein Fluchtverhalten, sondern drücken sich fest und bewegungslos auf den Boden (‚Drückinstinkt‘). Ebenso ist vielen Wirbellosen eine Flucht verwehrt – sei es aufgrund ihrer körperlichen Beschaffenheit oder weil sie sich gerade in einem fluchtunfähigen Stadium ihrer Entwicklung befinden (Ei, Häutung, Verpuppung, Puppe, frisch nach dem Schlupf).


Wer zukünftige Arbeiten wie diesen Artikel fördern will, findet hier eine Unterstützungsmöglichkeit. Eine PDF des Artikels kann hier geladen werden.

Quellen

  1. Friedrich Nietzsche, Kritische Studienausgabe, hrsg von. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1999 (de gruyter/dtv), Band 12, S. 167 (Fragment 2[205] Herbst 1885 - bis Herbst 1886). 

  2. WHO 2016. https://www.who.int/data/gho/data/themes/road-safety 

  3. Katharina Krenn (2015), Wildschweine fressen Ernte: 15 Tonnen Verlust https://www.agrarheute.com/land-leben/wildschweine-fressen-ernte-15-tonnen-verlust-509152 

Twitter, Facebook